Von der Augenoperation eines kleinen Mädchens in Kenia und ihrer Stärke
8. November 2021 - Kenia
Seit 2013 arbeiten Embracing the World Kenya und Vision Without Borders (Spanien) mit lokalen Ärzten im ganzen Land zusammen, um kostenlose Kataraktoperationen durchzuführen. Die Teams haben inzwischen mehr als 1.900 Eingriffe durchgeführt, und das obwohl Kenia in diesem Jahr unter COVID-19- Beschränkungen stand.
Ein weiterer Meilenstein: Zum ersten Mal konnten einige der Operationen in einem Operationssaal und nicht in einem mobilen medizinischen Lager durchgeführt werden. In einem der Slums von Nairobi wurde ein kleines Krankenhaus eröffnet, das die Augenärzte, Optometristen und Krankenschwestern aufnahm.
Die meisten Patienten gehörten der ethnischen Gruppe der Kikuyu an, die in diesem Gebiet am weitesten verbreitet ist, aber auch aus entlegenen Gebieten wie Kissi, Meru und Mombasa reisten Menschen an. Bei einigen der Patienten war der Graue Star schon seit langem diagnostiziert worden, aber sie konnten sich eine Operation nicht leisten, weil ihnen die Mittel fehlten.
Dr. Isabel Signes Soler ist Augenoptikerin und eine der Organisatorinnen des Projekts. In diesem Jahr traf sie ein kleines Mädchen, das sie von den hunderten von Patienten, die sie im Laufe der Jahre kennengelernt hat, sehr inspiriert hat. Hier teilt sie die Geschichte dieses Mädchens.
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Charitys Geschichte: "Bitte nur ein Auge."
Charity ist sechs Jahre alt und kam mit ihrem Vater für eine Augenoperation. Ihre Mutter konnte sie nicht begleiten, weil sie sich um Charitys kleine Schwester kümmern musste. Charity konnte, als sie zum ersten Termin kam, kaum zehn Prozent sehen, weil sie mit einem Grauen Star geboren wurde.
Während der Konsultation verhielt sie sich außergewöhnlich ruhig. Trotz ihres jungen Alters erlaubte sie uns, ihr Tropfen in ihre Augen zu geben und alle Tests durchführen, ohne sich zu beschweren. Sie zeigte keinen Widerstand noch weinte sie zu irgendeinem Zeitpunkt.
Charitys Operation sollte am letzten Tag der Kampagne stattfinden, weil eine Vollnarkose für den Eingriff nötig war, und dieser deshalb in einem anderen Krankenhaus mit entsprechenden Mitteln durchgeführt werden sollte. Als der Tag gekommen war, fuhren wir zum Bhagati Krankenhaus in Nairobi, bauten das Operationsmikroskop auf und bereiteten den Operationssaal für den Eingriff vor.
Charity kam entspannt herein, eine ihrer Pflegerinnen führte sie an der Hand. Bald danach suchten die Krankenschwestern nach einer Vene in ihrer rechten Hand. Das war der Moment, in dem sie dann nervös wurde. Was geschah da? Sie begann untröstlich zu weinen, bis sie betäubt war.
Nachdem sich ihre Werte stabilisiert hatten, begann die Operation. Zuerst ihr rechtes Auge. Nur das Piep-Piep des Monitors, der ihre Vitalparameter kontrollierte, war zu hören. Die Gebete fanden in Stille statt.
Es war eine langwierige Operation. Nach 30 Minuten war die Intraokularlinse implantiert, und alles verlief gut. Anschließend fuhr Dr. Jaime Javaloy mit dem anderen Auge fort.
Nach der Operation wurde Charity in den Reha-Raum gebracht. Bald darauf wachte sie auf und begann zu weinen. Ihre beiden Augen waren zugedeckt, und sie konnte nichts sehen - alles war schwarz. Sie war verzweifelt, denn vor der Operation sah sie zwar sehr schlecht, aber sie hatte wenigstens Licht gesehen und konnte einige Konturen erkennen.
Sie rief: "Mama, Mama, Mama..." Das Pflegepersonal bat einen Verwandten zu kommen, und ihr Vater kam in das Zimmer, aber das Weinen ging weiter. Ich näherte mich ihr und begann mit ihr zu sprechen, um sie zu trösten, aber ohne Erfolg. Wir konnten ihre Hände kaum festhalten, um sie davon abzuhalten, ihre Augenbinde herunterzureißen. Schließlich mussten wir ihre Hände an das Bett festbinden.
Charity schrie etwas in ihrer Muttersprache, darauf fragte ich die Krankenschwester, was sie denn sage. Die Krankenschwester erklärte mir, dass Charity wollte, dass wir zumindest ein Auge freilegen, weil sie sonst beim Aufstehen über alles stolpern würde.
Nach Rücksprache mit dem Chirurgen näherte ich mich dem Bett und sagte: "Charity, wenn du aufhörst zu weinen, werde ich ein Auge freilegen."
Nach und nach beruhigte sie sich, und ich deckte langsam ihr rechtes Auge auf. Ihr Augenlid war leicht geschwollen, und sie musste den Kopf heben, um zu sehen. Sie begann, nach links und rechts zu schauen und schüttelte langsam den Kopf. Dann beruhigte sie sich etwas. Ich sagte ihr, dass ich ihr ein Kleid aus Spanien mitbringen würde, und fragte sie, welche Farbe sie denn möge. "Pink", antwortete sie.
Charity bat dann darum, dass ihre Mutter kommen solle, die bald darauf mit Charitys kleiner Schwester auf dem Rücken kam. Charitys Vater verließ den Raum, und ihre Mutter zog sich einen Kittel an, um eintreten zu dürfen. Von der Tür aus fragte Charitys Mutter, ob sie bereits operiert worden sei, und als sie ihre Tochter sah, füllten sich ihre Augen mit Tränen. Die Krankenschwestern bemerkten es, und als ich sie ansah, wurden auch meine Augen feucht.
Charity war immer noch ruhig, also nahmen wir ihr die Verbände ab, mit denen sie ans Bett gebunden war. Wir gaben ihrer Mutter Pflegeanweisungen und verabschiedeten uns bis zum nächsten Termin.
Am nächsten Tag betrat ich das Zimmer, in dem Charity lag, ihre beiden Augen waren unbedeckt. Sie war glücklich, und ihre Sehkraft war viel besser. Ihre Augen waren weiß und ihre Hornhaut durchsichtig, ohne Anzeichen der Operation vom Vortag. Ihre spontane Sehkraft betrug 30 %, und man verschrieb ihr Tropfen für einen Monat.
Nach zwei Wochen kamen wir zu einer weiteren Untersuchung. Charitys Sehkraft hatte sich weiter verbessert, und wir konnten ihr ein Rezept für eine Brille ausstellen. Bis sie neun Jahre alt ist, werden wie ihre Fortschritte weiterhin verfolgen.
Charity lebt mit ihrer Mutter in einer ländlichen Gegend namens Machacos, und ihr Vater arbeitet in Nairobi, um den Lebensunterhalt für die Familie zu verdienen. Sie ging seit einem ganzen Jahr nicht zur Schule, weil sie nicht sehen konnte. Jetzt kann sie wieder am Unterricht teilnehmen und hat eine Chance auf ein besseres Leben.
Die Stärke dieses kleinen Mädchens war überraschend, trotz ihres jungen Alters und ihrer Sehschwäche. Schließlich erwies sie sich als gute Verhandlungspartnerin, als sie uns dazu brachte, den ersten Verband zu entfernen: "Nur ein Auge, damit ich nicht falle."